Der Fall Des Tymetras

Liebe fällt auch Götter, wie Tymetras am eigenen unsterblichen Leib erfuhr. Auf einer seiner Wanderungen über die Welt fielen seine Augen auf eine Sterbliche, die auf den Namen Kalachta hörte. So anmutig waren ihr Gang und ihre Stimme, dass Tymetras ganz verzückt war und sie als Essenz der Schöpfung pries.

So nahm er die Gestalt eines gut gebauten Jünglings an und näherte sich ihr, als sie im Fluss badete. Kalachta war gut erzogen worden und zierte sich, auf die Schmeicheleien des vermeintlichen Jünglings allzu schnell einzugehen, doch seine forsche Art und seine mächtige Ausstrahlung, die selbst in dieser Form nicht zu verbergen war, schlugen sie bald in seinen Bann, und so sagte sie zu, ihn am nächsten Tag am Weiher zu treffen und Brot und Wein mit ihm zu teilen. So trafen sie sich denn und am Rande des Weihers lernte Tymetras die Neugierde und Klugheit seiner Auserwählten kennen und schätzen. Selten hatte er eine Sterbliche so aufgeweckt und gewitzt erlebt, und je länger sie sprachen, desto mehr verlor er nicht nur seine Augen, sondern auch sein Herz.

Die göttliche Gemahlin des Tymetras, Allarxia, erfuhr von der Liebelei, noch während die beiden den Wein teilten. Sie hatte schon manche Spielerei ihres Gatten mit einer Sterblichen erlebt und gab darauf nichts mehr. Immerhin genoss auch sie gelegentlich die Nähe eines Jünglings, der ihre Sinne erregt hatte. Sie wunderte sich ein wenig darüber, wie viel Zeit Tymetras sich diesmal mit der Eroberung seiner Gespielin ließ, doch sah sie darin nur eine Abwechslung und Laune.

Im Inneren ihres Gatten aber war längst ein Kampf entbrannt, denn die Liebe hatte ihn erfasst, die Liebe zu einer Sterblichen die nicht nur seine Sinne, sondern auch seinen Geist betören konnte. Er wollte, er musste sie haben. Doch Kalachta zierte sich keusch und so ging der Tag am Weiher vorbei, ohne dass sie sich Tymetras hingegeben hätte. Dies fachte das Feuer in seinem Inneren nur um so stärker an.

Auch in ihr war längst ein Feuer entbrannt, das ihre Sinne benebelte. Beim nächsten Treffen konnte sie ihm nicht mehr länger widerstehen und im Schatten einer mächtigen Eiche vereinten sie ihre Körper, und mehr als nur das. Als er in sie eindrang, öffnete sich in beiden ein Damm und sie wurden hinfortgespült von den Wogen der Liebe, die zwischen ihren Augen funkelte als sie sich tief anschauten. An jenem Tag verbanden sie ihre Körper und ihre Schicksale miteinander. Lange liebten sie sich unter der Eiche, getragen von Ekstase und bewegt von Begierde. Als Tymetras sich endlich in Kalachta ergoss, ging ein leichtes Zittern durch die Welt, und Menschen wie Götter schauten auf und wunderten sich.

Es entging Allarxia nicht, dass ihr Gatte sich an eine Sterbliche verloren hatte, doch war es längst um ihn geschehen, als sie ihn zu erreichen suchte, um ihn von diesem Kurs abzubringen. So blieb ihr nichts übrig, als sich von ihm abzuwenden. Tymetras schmerzte der Verlust seiner Gemahlin, doch Kalachta vermochte es, ihn zu trösten auch wenn sie den Grund seiner Trauer nicht kannte, denn noch immer erschien er ihr in Form des Jünglings.

Und so gingen die Jahre ins Land und Tymetras fand sich mehr und mehr das Leben eines Sterblichen lebend, doch noch immer verlor er sich in Kalachta’s Augen und Schoss. Sie liebten sich so sehr, dass sie in einer Welt für sich lebten, in welcher Tymetras seine Göttlichkeit und Kalachta ihre Sterblichkeit vergassen und nur ihr gemeinsames Sein die Nacht erhellte.

Doch die Nacht brach schliesslich herein, und die Welt der Sterblichen brachte Leid und Trauer, welche Kalachta tief verwundeten und trotz aller seiner Macht den Armen des Tymetras entrissen. Denn er konnte nur seine Göttlichkeit enthüllen und sie damit verlieren, denn er würde zeigen, dass er nicht derjenige ist, in den sie sich verliebt hatte. Oder er konnte seine Macht verbergen und hilflos zusehen, denn da er kein Sterblicher war, hatte er kein Wissen in der Heilkunde der Sterblichen. Lange rang er mit sich selbst und verfiel in tiefe Verzweiflung, da er keinen Ausweg fand. Unterdessen schlug in Kalachta die Liebe um in Wut und Hass, denn sie glaubte, dass ihr Geliebter ihr nicht zu helfen bereit war, nicht einmal mit den Mitteln, welche jeder junge Mann beherrschen sollte.

Und so wendete sich auch Kalachta ab von Tymetras, um andernorts Hilfe zu suchen. Was an Liebe noch in ihr funkelte, riss sie mit Gewalt aus ihrer Brust, um nicht daran ebenfalls zu leiden. Gebrochen floh sie und verbarg sich vor Tymetras.

Als dieser aus dem Wald zurückkehrte, in welchem er wieder einmal Stunden darüber sinniert hatte, wie er sowohl seine Geliebte als auch ihre Liebe retten könnte, fand er die gemeinsame Hütte leer vor. Lange stand er regungslos auf der Schwelle, bis das Geschehen in ihn eingedrungen war. Das Wissen darum, was geschehen war, denn ob seiner Göttlichkeit wusste er dies mit absoluter Sicherheit, zerfetzte sein Inneres und liess nichts unberührt.

Erst nach Tagen schloss Tymetras schliesslich die Tür hinter sich und sackte auf dem Bett zusammen, in welchem er so viele Nächte mit seiner Geliebten geteilt hatte. Alles war ihm fremd geworden, auch er selbst. Gefühle, die den Göttern sonst erspart sind, durchfluteten ihn, dem sie fremd und überwältigend waren. Und so versank Tymetras in der Dunkelheit seines aufgewühlten Inneren, und verlor sich darin.

Erst, als er sich vergeblich das Leben genommen hatte, erinnerte sich ein kleiner Teil seines Selbst der eigenen Göttlichkeit. Doch auch die Dunkelheit in seinem Inneren war aus der Göttlichkeit geboren und liess sich nicht besiegen, sondern stieg hinauf, wo sie sich des Gottes selbst bemächtigte. Verloren in Trauer und Verlust wehrte sich Tymetras nicht, sondern hiess willkommen was ihm neuer Sinn und Zweck erschien.

Tymetras verging.

Tymetras entstand neu.

Als er die Hütte verliess, ging sie hinter ihm in Flammen auf, die nichts als vom Wind verwehende Asche übrig lassen sollten. Er hatte sein Herz einst der Liebe geöffnet und es damit für alle Gefühle der Sterblichen geöffnet. Näher war er ihnen gekommen, als die anderen Götter. Wie ein Sterblicher hatte er gelebt, und verabscheute sich dafür, so wie ihn nun alles an den Sterblichen und ihrer Welt anwiderte. Lange zog er durch die Länder und brachte Tod, Zerstörung, Leid und Trauer wo immer er ging. Getrieben vom Hass eines Sterblichen im Wesen eines Gottes konnte nichts und niemand ihn aufhalten. Das Wort eilte ihm bald voraus und die Sterblichen flohen hier und sendeten dort ihre Armeen gegen ihn aus, die er vernichtend geschlagen als an Leib und Seele gebrochene Krüppel hinter sich liess. Bauern und Könige vergingen, wo immer er auf sie traf, und nur die Glücklichen fanden den Tod.

Je mehr sich Tymetras seines Ursprungs wieder bewusst wurde, desto mehr hasste und verabscheute er die Welt der Sterblichen, die ihn, einen Gott, zerbrochen hatte. Doch endlich wendete er sich in seiner kalten Wut von ihr ab und zog sich wieder in die Welt der Götter zurück, um seine Macht und seinen Hass dort im ewigen Kampf der Götter zu entladen. Doch er schloss sich keiner der streitenden Seiten an, denn die Götter hatten ihn verlassen und er sie.